Prof. Dr. Hans-Christian Maner

Maner, Prof. Dr. Hans-Christian, FB 07, Historisches Seminar, Osteuropäische Geschichte.

Figurationen des Nationalen im Donau-Karpatenraum (Siebenbürgen, Banat, Moldau, Walachei) im „langen“ 18. Jh.: Konstruktion, Transfer, Kontakt 

Das Projektvorhaben soll sich mit „Figurationen des Nationalen im Donau-Karpatenraum“ befassen. Im „langen“ 18. Jh., d.h. vom letzten Drittel des 17. bis zum ersten Drittel des 19.Jahrhunderts, soll Aspekten von Konstruktion, Transfer und Kontakt in den Fürstentümern Siebenbürgen, Moldau und Walachei sowie dem Temescher Banat an der Epochenschwelle zwischen Früher Neuzeit und Moderne nachgegangen werden.

Im Mittelpunkt wird der Übergang von einer ständisch-agrarischen bzw. segmentären Gesellschaft hin zur modernen Massengesellschaft stehen, wobei regionale, ständische, konfessionelle und rechtliche Kategorien Beachtung finden werden. Ein erster Schwerpunkt der Forschungsarbeit wird in der Untersuchung der Prozesse des Übergangs der orthodoxen Bevölkerung von einer unterprivilegierten Gruppe hin zur modernen Nation in den vier Regionen liegen. Während sich in der Moldau und der Walachei dieser Wandel innerhalb einer größtenteils monokonfessionellen Landschaft vollzieht, sind Siebenbürgen und das Banat multikonfessionell geprägt. In Siebenbürgen gehört die rumänischsprachige Bevölkerung zwei Konfessionen an, im Banat hingegen zählen eine rumänischsprachige und eine serbischsprachige Gruppe zur orthodoxen Konfession. Neben dieser Gruppe sollen in einer weiteren Stufe des Projekts noch die Vertreter der frühneuzeitlichen „nationes“, die Siebenbürger Sachsen, der ungarische Adel und die Szekler in Siebenbürgen bzw. der ungarische Adel und die serbischsprachige Bevölkerung im Banat einbezogen werden.

Einige Leitfragen der Forschungsplattform FNZ sind dabei durchaus hilfreich, um Herangehensweisen an das Vorhaben zu skizzieren:

  1. Da ist zunächst einmal der Kontext, der politische, kulturelle und strukturelle Rahmen als Auslöser für den Perspektivwechsel grundlegend: Die drei Fürstentümer Siebenbürgen, Moldau, Walachei sowie die Region Banat haben sich in der Sattelzeit im Spannungsfeld des osmanischen, habsburgischen und russländischen Reiches befunden. Während die Moldau und die Walachei in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Osmanischen Reich standen, wobei aber auch die Ansprüche des Zarenreiches bedacht werden müssen, befand sich Siebenbürgen im Übergang von einem autonomen Fürstentum unter osmanischer Oberhoheit hin zu einem Fürstentum unter habsburgischer Herrschaft. Das Banat schließlich ist erst nach dem Frieden von Passarowitz 1718 als habsburgische Region konstruiert worden.
  2. In diesem machtpolitischen Kontext muss des Weiteren die Rolle von wirtschaftlichen, administrativen und territorialpolitischen Faktoren für den Nationalisierungsprozess bedacht werden. Spannend wird dies zunächst mit Blick auf den Prozess des „rumänischen“ Selbst- und Zugehörigkeitsbewusstseins in den vier sehr unterschiedlich konstituierten Regionen sein. Gemeinsam ist den Regionen allerdings, dass es sich hierbei um Figurationen des Nationalen nicht in geistlichen und politischen Machtzentren sondern in der Peripherie handelt.
  3. Ein weiterer Punkt wäre dann die Darlegung des Anteils der verschiedenen Identitätskonstrukte – politische, soziale, konfessionelle – „an den Verdichtungsprozessen hin zu einer nationalen Identität“;
  4. Maßgeblichen Anteil werden im Kontext dieses Teilprojekts das konfessionelle Denken und konfessionelle institutionelle Strukturen für die Ausbildung von Nationalkulturen und Nationalfigurationen haben, z.B. orthodoxe bzw. griechisch-katholische Vorstellungen in Siebenbürgen.
  5. Grundlegend sind schließlich die Trägerschichten, ihre Motive und Mittel. Bei der Konzentration auf Schriften von geistlichen und nichtgeistlichen Gelehrten wird der Sprache ein wichtiger Stellenwert beigemessen.

Zum Forschungsstand zu diesem Themenkomplex: Die Beschäftigung mit dem, was Nation, nationale Identität, Nationalbewegung, Nationalismus ausmacht, hat in der Südosteuropaforschung stets breiten Raum eingenommen. Der Schwerpunkt lag und liegt dabei auf dem politischen Aspekt. Wissenschaftliche wie interessengeleitete und ideologische Schriften gingen allerdings wiederholt vom Endziel aus, dem Nationalstaat. Diese a posteriori-Betrachtung findet sich insbesondere in einer ganzen Reihe von Arbeiten aus den zu betrachtenden Regionen. Zur „Idee der Nation bei den Rumänen“ Siebenbürgens liegen bereits einige Untersuchungen vor, die als ein guter Ausgangspunkt für die Betrachtung der Prozesse in den anderen Regionen dienen können. Ein eigener Arbeitsschritt in diesem Kontext wird allerdings darin bestehen die Schichten der modernisierungstheoretischen, ja teleologischen Sicht abzutragen.

Mit Blick auf die größte Gruppe in den vier Regionen, die orthodoxe rumänischsprachige Bevölkerung, finden sich Reflexionen des sich entwickelnden „rumänischen“ Bewusstseins bei Gelehrten, Chronisten, Geschichtsschreibern, Fürsten und Hierarchen in den Fürstentümern. Im 18. Jahrhundert gingen beispielsweise die Vertreter der Siebenbürgischen Schule (griechisch-katholische Geistliche) der Idee der Nation mit Hilfe von Archivquellen und philologischen Studien nach. Lohnenswerte Quellen hierfür sind zudem die zahlreichen Denkschriften sowohl an den Wiener Hof wie nach Konstantinopel.

Im Projektvorhaben wird es um Tiefenbohrungen gehen, die Eigenes und Fremdes, Beziehungen und Transferprozesse bei Identitätszuschreibungen, Identitätsfindungen und Identitätswandel in den Kontaktzonen Siebenbürgen, Banat, Moldau und Walachei in den Blick nehmen.

Prof. Dr. Hans Christian Maner,

September 2020

 

Kontakt 

maner@uni-mainz.de