Schnettger, Prof. Dr. Matthias, FB 07, Historisches Seminar, Neuere Geschichte.
Figurationen des Nationalen am frühneuzeitlichen Kaiserhof
Der Wiener Kaiserhof war im 17. Jh. das wichtigste politische Zentrum des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und zugleich der entstehenden Habsburgermonarchie. Ihm gehörten Adlige, Geistliche, Künstlerinnen und Künstler, Juristen etc. aus den Herrschaftsgebieten der Habsburger, dem Reich und weiteren Ländern an. Wien war auch ein Zentrum vielfältiger Austauschprozesse – von Menschen, Dingen und Wissen.
Vor diesem Hintergrund untersucht das Forschungsprojekt Figurationen des Nationalen am Kaiserhof in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s. Die Untersuchungsaspekte sind vielfältig: die Herkunft der Menschen am Hof, „nationale“ Hofparteien und Netzwerke, Transferprozesse, Sprachen des Hofes, Repräsentationen von Nationen in Hofoper, Publizistik usw.
Dem Projekt liegt die These zugrunde, dass nationale Zugehörigkeiten und Zuschreibungen die Strukturen des Kaiserhofs mitprägten, dass aber nationale Selbst- und Fremdzuschreibungen von Akteurinnen und Akteuren wie auch von Dingen und Wissensbeständen wechseln konnten.
So vielfältig wie die Figurationen des Nationalen am Kaiserhof sind notwendigerweise die methodischen Zugänge. Daher übernimmt das Forschungsprojekt die Methoden unterschiedlicher Forschungsstränge: insbes. mikropolitische Studien, akteurszentrierte Diplomatiegeschichte, Forschungen zur Herrschaftsrepräsentation, Kulturtransfergeschichte. Um das Projekt handhabbar zu machen, erfolgt eine Konzentration auf die italienische „Nation“, auch vor dem Hintergrund der Überlegung, dass die Konturen einer Nation in der „Diaspora“ schärfer in Erscheinung traten.
Repräsentationen von Nation am Wiener Hof lassen sich u.a. anhand von Oper, geistlicher Musik und Publizistik untersuchen. Nationale Selbst- und Fremdzuschreibungen sind z.B. anhand von Ego-Dokumenten, Korrespondenzen und Diplomatenberichten zu erforschen.
Das Projekt bereichert die Kenntnisse zum insgesamt gut erforschten Kaiserhof um einen bislang eher vernachlässigten Aspekt. Als politische, gesellschaftliche und kulturelle Zentren verdienen Höfe im Gesamtprojekt besondere Aufmerksamkeit. Das Teilprojekt ist interdisziplinär anschlussfähig und schlägt zugleich Brücken zwischen allen drei Projektgruppen, da hier Konstituenten und Konstruktionen des Nationalen, Transferräume und Kontaktzonen gleichermaßen in den Blick kommen.
Prof. Dr. Matthias Schnettger
November 2020
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