Prof. Dr. Matthias Müller

Stilkonzepte und Allegoriebildung im Umkreis deutscher Humanisten als Ausdruck von Nationalisierungsprozessen im Reich.

Kunst und Künstler als Instrumente und Akteure in humanistischen Patriotismus- und Nationalisierungskonzepten um 1500 im deutschen Reich

  1. Neubewertung der höfisch-städtischen „Erinnerungskultur“ und ihrer künstlerisch-materiellen Manifestationen im Kontext patriotisch-nationaler Diskurse
    Das kunsthistorische Teilprojekt untersucht die künstlerisch-materiellen Reflexionen und Konsequenzen der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts verstärkt geführten politischen und humanistischen Diskurse um eine autochthone deutsche Nation und verbindet diese mit den künstlerischen Manifestationen einer zur selben Zeit aufkommenden höfischen, städtischen und monastischen Erinnerungskultur, die zugleich zu einer neuen Form des lokalen und regionalen Patriotismus führte. Damit werden in dem Teilprojekt die künstlerischen Zeugnisse einer politisch-humanistisch konturierten Idee und Konstruktion einer deutschen Nation mit den bislang davon getrennt wahrgenommenen und bewerteten Zeugnissen einer vor allem durch den Adel und die Fürsten getragenen dynastisch ausgerichteten „Erinnerungskultur“ und einer davon nicht loszulösenden Erinnerungskultur der (Reichs-)Städte erstmals umfassend analysiert. Vor allem die adlig-höfische sowie bürgerlich-kommunale Erinnerungskultur, die beide – stärker als bislang gesehen - miteinander korrespondierten, bewirkten auf der lokalen sowie regionalen Ebene wiederum besondere Formen eines städtischen und territorialen Patriotismus, der – so eine These des Teilprojekts – nicht unwesentlich auf das übergeordnete humanistische Konstrukt einer deutschen Nation zurückwirkte und gewissermaßen einen Teil von dessen Unterbau bildete. Damit stehen in dem Teilprojekt aus der historischen Perspektive drei Untersuchungskategorien und -ebenen im Mittelpunkt, die sich gegenseitig bedingen und durchdringen: die Erinnerungskultur, der Patriotismus und die nationale Idee, die erst in ihrer identitätsstiftenden Verschränkung und Verdichtung zu einer historisch-politischen und gesellschaftlichen Größe werden konnten.
  2. Die Rolle, Wirkung und Funktion der bildenden und architektonischen Künste
    Welche Rolle, Wirkung und Funktion in diesem Zusammenspiel der drei Kategorien bzw. Ebenen den bildenden und architektonischen Künsten zukam, ist erst ansatzweise und bislang auch noch nicht im Zusammenhang untersucht worden. Gegenüber signifikant national konturierten künstlerischen Manifestationen (z.B. Germania, Astwerk, deutscher Wald) blieben künstlerische Phänomene wie die illustrierten Landes- und Stadtchroniken, die für deutsche Fürstenhöfe entworfenen Historienbilder(z.B. der Cranach-Werkstatt), die verschiedenen von Kaiser Maximilian I. initiierten künstlerischen Aufträge im Rahmen seines „Gedechtnus“-Projekts, höfische und kommunale Sammlungen oder retrospektive (Stil-)Formen in den bildenden Künsten und der Architektur im Kontext nationaler, humanistischer Diskurse unberücksichtigt. Weitgehend ungeklärt ist zudem die mehr oder weniger aktive ‚Rolle‘ bzw. die mehr oder weniger bewusste Positionierung der Künste im Kontext von Nationes-, Erinnerungs- und Patriotismusdiskursen. Möchte man die in diesem geistig-politischen Umfeld entstandenen Kunst- und Bauwerke nicht einfach nur als ‚Illustrationen‘ oder affirmative Verstärker solcher Konzepte verstehen, was in jedem Fall zu kurz greifen würde, muss auch nach der aktiven, die patriotisch-nationalen Diskurse und Konstrukte bewusst aufgreifenden und sowohl verstärkenden als auch kommentierenden oder gar kritisierenden Rolle der Künste und damit nach ihrer eigenständigen Position und Reflexion gefragt werden.
  3. Künstler und Auftraggeber als Akteure im Kontext der gelehrten und politischen Humanistennetzwerke Mit der Frage nach der Rolle und Funktion der Künste verbunden ist unmittelbar die Frage nach den Akteuren, wozu neben den Auftraggebern ganz wesentlich auch die Künstler und ihre Werkstätten sowie die mit den Auftraggebern und Künstlern verbundenen personalen Netzwerke gehören. Auf der Ebene der Künstler fallen die verschiedentlichen Versuche humanistischer Gelehrter und humanistisch gelehrter politischer Akteure ins Auge, bestimmte Künstler nicht nur allgemein mit Apelles, dem legendären Hofmaler Alexanders des Großen, zu vergleichen, sondern darüber hinaus durch den Ehrentitel „Apelles Germaniae“ zu Apelliden Germaniens aufzuwerten. Diese vereinzelten Versuche einer Nationalisierung von Künstlern lassen sich z.B. für Albrecht Dürer, Lucas Cranach oder Albrecht Altdorfer nachweisen und werfen die Frage auf, welchen Anteil an einer solchen Stilisierung auch die Künstler selbst hatten und welche strategischen Ziele sie damit verfolgten. Die kunsthistorische Forschung hatalle diese Phänomene, die auch mit einer neuen Bewertung von autochthonen Stilidiomen und Prozessen des Stiltransfers verbunden sind, erst seit wenigen Jahren in den Blick genommen, so dass eine systematische Untersuchung bislang fehlt.

Prof. Dr. Matthias Müller

November 2020

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