Braun, Prof. Dr. Bettina, FB 07, Historisches Seminar, Abteilung Neuere Geschichte.
Germania Sacra - die Reichskirche im Spannungsverhältnis von deutscher Nationalkirche und päpstlichem Universalismus.
Auch in meinem Projekt geht es um das Spannungsverhältnis zwischen dem Universalismus-Anspruch der römischen Kurie und dem Beharren der National- oder Ortskirchen auf ihren jeweiligen Eigenheiten, und zwar am Beispiel der Germania Sacra, also der Kirche im Heiligen Römischen Reich.
Für die Untersuchung werden zwei zeitliche Schwerpunkte gesetzt: zum einen die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der die rheinischen Erzbischöfe sich dezidiert gegen eine Benachteiligung der deutschen Kirche wandten, zum anderen die im Nuntiaturstreit gipfelnden Überlegungen und Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts, die breit die Möglichkeiten einer an die deutschen Verhältnisse angepassten Kirchenverfassung diskutierten.
Für den ersten Zeitschnitt sind zu untersuchen die Bemühungen des Mainzer Erzbischofs Johann Philipp von Schönborn und des Kölner Erzbischofs Max Heinrich von Bayern und ihrer Mitarbeiter (Boineburg, Franz Egon von Fürstenberg). Darüber ist wenig bekannt. Als Quellenkorpus kommt vor allem die Korrespondenz der Akteure in Frage. Erkennbar ist aber eine Orientierung am gallikanischen Vorbild, das die fehlende theoretische Fundierung ersetzte. Gefordert wurden unter anderem ein „Nationalkonzil“, auch um die konfessionelle Spaltung zu überwinden, d.h. man griff auch auf Instrumente des frühen 16. Jhs. zurück.
Für das 18. Jh. ist zunächst der kirchenrechtliche Diskurs zu untersuchen, der von den Schriften des Würzburger Kirchenrechtlers Johann Kaspar Barthel ausging, der ab den 1730er Jahren eine an die deutschen Verhältnisse angepasste Kirchenverfassung forderte. Dieser Diskurs gipfelte in der Schrift des Trierer Weihbischofs Hontheim alias Febronius „de statu ecclesiae“ von 1763. Mit den in dieser Diskussion immer wieder angeführten Konkordaten der deutschen Nation aus dem 15. Jh. gerät auch eine länger zurückreichende Traditionslinie in den Blick. Hier wäre zu fragen, ob es Berührungspunkte mit dem allgemeinen humanistischen Nationendiskurs des 15. Jhs. gab (z.B. Enea Silvio Piccolomini alias Pius II.). Zum zweiten wäre für das 18. Jh. die stärker politische Diskussion zu untersuchen, die vor allem von den drei rheinischen Erzbischöfen ausging. In den Auseinandersetzungen um die Pläne zur Errichtung einer Nuntiatur in München in den 1780er Jahren ging es zunächst einmal um eine kirchenrechtliche Frage des Verhältnisses von Ortskirchen, Metropolitangewalt und römischer Kurie. Gelabelt aber wurde die Streitfrage von den rheinischen Erzbischöfen national, ihnen ging es um die „Freiheiten der deutschen Kirche“.
Gefragt werden soll also, in welchen Situationen und Konfliktlagen der Begriff der Nation in der Reichskirche der Frühen Neuzeit verwendet und instrumentalisiert und mit welchen Inhalten er dann jeweils gefüllt wurde. Schlüsselbegriffe sind also Schlagworte wie „Nationalkirche“, „Nationalkonzil“, „Freiheiten der deutschen Kirche“, auch so etwas wie „teutsche Libertät“. Zu vermuten ist, dass diese Begriffe nicht sprachlich-kulturell gefüllt wurden, sondern rückgebunden wurden an die spezifische Kirchenverfassung der Germania Sacra mit ihren geistlichen Fürstentümern. Das Nationale konstituierte sich im Bereich der Germania Sacra also in einer vorwiegend rechtlichen und politischen Diskussion. Damit reagierten zumindest Teile der Germania Sacra auf die beständige Herausforderung durch eine in ihrem Anspruch übernationale Institution, nämlich die universale römische Kirche.
Das Projekt füllt für den deutschen Bereich eine große Leerstelle, da hier bisher fast ausschließlich der Beitrag der protestantischen Kirchen im Nationendiskurs untersucht wurde. Danach habe die sich in Landeskirchen organisierende und auf einen Deutschen zurückgehende protestantische Kirche einen maßgeblichen Anteil bei der Konstituierung des Nationalen gespielt, während die katholische Kirche eher als retardierendes Element gesehen wurde. Für das Gesamtprojekt leistet das Teilprojekt einen Beitrag zu der von uns als wichtig angesehenen Rolle von Konfession und Religion in der Konstituierung des Nationalen.
Prof. Dr. Bettina Braun,
November 2020.
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