Wiesenfeldt, Prof. Dr. Christiane, Universität Heidelberg, Musikwissenschaftliches Seminar.
Figurationen des Nationalen in der frühneuzeitlichen Messe
Dass Komponieren geistlicher Musik stets auch von geographischen, regionalen bzw. lokalen Bedürfnissen und Ansprüchen geprägt ist, liegt auf der Hand. Für die frühneuzeitliche Messe gilt dies umso mehr, ist doch kaum eine andere europäische Musikgattung vor 1700 derart vielen Reformen, Umdeutungen, Anfeindungen und Restriktionen an unterschiedlichsten Orten und zu unterschiedlichsten Zeiten ausgesetzt gewesen. Als bedeutendste geistliche Gattung ihrer Zeit standen ihre Werke schon vor dem konfessionellen Zeitalter unter dem Verdacht, mit zu viel Musik von der eigentlichen Sache des Gottesdienstes abzulenken, in ihren Textzusätzen zu viel fremdes und damit einer weltlichen Herkunft verdächtiges Material mit sich zu tragen und aus der Sicht des jungen Luthertums biblisch nicht belastbare Aussagen zu treffen, weswegen man sie als „Missa brevis“ beschnitt. Und schließlich durchlief die Gattung eine wohl singuläre stilistische Ausdifferenzierung im 17. Jahrhundert, in der konfessionelle Brüche und Kontinuitäten ebenso sichtbar werden wie geographische, regionale und lokale Stilbildungen, die späteren Generationen Deutungsangebote nationaler Prägung ermöglichten.
Das Teilprojekt setzt sich einerseits zum Ziel, das Messencorpus von ca. 1550 bis ca. 1700 – anschließend an ein gemeinsam mit der Universität Mainz (Klaus Pietschmann) durchgeführtes DFG-Projekt zur frühneuzeitlichen Messe und einer darin erarbeiteten Datenbank mit Messkompositionen (GZ: WI 3248/11-1) – vollständig zu erschließen und in einem Online-Portal (www.mdb.uni-mainz.de) zugänglich zu machen. Andererseits soll eine Monographie zu ausgewähltem Repertoire entstehen, die sich gezielt mit jenen Mechanismen auseinandersetzt, die stilistische Prägung und Zugehörigkeit ausprägen. Hierzu bietet sich ein diachroner oder ein synchroner Zugriff an: Sowohl die historische Entwicklung von Stilkonzepten in einem Umfeld über einen längeren Zeitraum als auch die komparatistische Auswertung von zeitgenössischen Werkgruppen unterschiedlicher Herkunft vermag Stilfigurationen und ihre Rückbindung an Orte und Gemeinschaften offenzulegen.
Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt,
Stand: 04. März 2021
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Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt bei der Universität Heidelberg